Tanner trifft den Südafrika-Kenner und Journalisten Johannes Dieterich: In einem afrikanischen Dorf wird geschuftet, wie in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr.

Johannes Dieterich, wohnhaft in Johannesburg, kommt am 30.08. nach Leipzig, um in der Buchhandlung Seitenblick (Lindenauer Markt) sein neues Buch vorzustellen. Schließlich weiß er weit mehr als viele Palaverfüchse in den Talkrunden, wie die Lage in Südafrika ist und wovon er schreibt. Es geht um Vorurteile und reale Erfahrungen, Kommunikation und Gemeinsamkeiten. Afrika wird sich selber retten, davon ist Dieterich überzeugt.

Guten Tag, Johannes Dieterich. Sie kommen mit Ihrem Buch „Südafrika. Ein Länderportrait“ am 30.08., 20:00 Uhr in die Buchhandlung Seitenblick auf den Lindenauer Markt. Nun ist Südafrika derzeit nicht wirklich in den hiesigen Schlagzeilen zu finden. Es scheint ruhig zu sein dort. Das werden Menschen, die dort leben, sicher anders sehen. Wie Sie. Wie ist es denn derzeit in Südafrika?

Dass man Südafrika in deutschen Medien nicht in den Schlagzeilen findet, liegt weniger an den hiesigen Vorgängen als an dem Umstand, dass die deutschen Medien sich auf jede neue Kapriole Donald Trumps wie auf ein Gold-Nugget stürzen. Das demokratische Südafrika geht zur Zeit durch die entscheidendste Phase in seiner knapp 25-jährigen Geschichte: Vom Ausgang des derzeitigen Machtkampfs hängt ab, ob Südafrika den scheinbaren Weg alles Afrikanischen geht und zu einem Bananen-Staat verkommt. Oder ob die Regenbogennation eine zweite Chance erhält.

Johannes Dieterich vor hiesiger Wand. Foto aus privaten Händen.

Das Buch ist im Christoph Links Verlag erschienen. Sie schreiben jedoch auch für die Frankfurter Rundschau. Beißt sich das nicht etwas?

Das beißt sich höchstens in meinem Terminkalender. Neben der Tagesarbeit noch ein Buch zu schreiben, ist der Gesundheit abträglich. Für den Verlag und die Zeitung ist es dagegen eher gut: Es gibt viele „Synergien“, wie man das heute wohl nennt, zwischen der Tätigkeit eines Buchautors und der eines Zeitungsjournalisten.

Sie leben in Johannesburg. Wie muss ich mir das ganz konkret vorstellen? Eine weiße Villa? Eine Dreiraumwohnung? Wie leben Sie dort? Ich meine, richtig so räumlich und von der Ausstattung her? Ich habe da überhaupt keine Vorstellungen.

Ich müsste lügen, wenn ich behaupten wollte, dass es sich in Johannesburg nicht gut leben lässt – mal abgesehen von der chronischen Angst, zum Opfer eines Verbrechens zu werden. Unsere Villa ist zwar nicht weiß, sondern erdfarben angestrichen, und um eine Villa handelt es sich auch nicht wirklich: fünf kleine Zimmer und ein offener Wohn-, Esszimmer und Küchen-Bereich. Mit Holzfußboden! Richtig gut sieht es außerhalb unserer Hütte aus: ein wilder Garten mit Avokado-Bäumen und Aloen, ein (kleines) Schwimmbad und ein toller Blick auf Johannesburgs „Koppies“. Das sind uralte Granithügel, denen Johannesburg unter anderem seine einzigartige Atmosphäre verdankt. Ich mag Johannesburg sehr. Es ist die faszinierendste Stadt der Welt.

Sie schreiben auch über Somalia, Nigeria und andere afrikanische Staaten. Nun weiß man, dass gerade in diesen Ländern große Umwälzungen stattfinden. Dazu kommen die Auswirkungen des Klimawandels, inklusive der daraus resultierenden Wanderungsbewegungen. Ist Afrika noch zu retten? Oder ist das Kind schon in den Brunnen gefallen? Sie, der Sie ja mittendrin leben, haben Sie Lösungsideen?

Afrika ist nicht das Kind – eher schon der Vater: Hier stand die Wiege der Menschheit. In den vergangenen zwei bis drei Jahrhunderten musste der Kontinent allerdings ein paar schwere Schläge einstecken. Erst verlor er durch den westlichen (und arabischen) Sklavenhandel fast die Hälfte seiner Bevölkerung. Und später kamen die Sklavenhändler auch noch als Kolonialisten selbst nach Afrika, um dort eine äußerst gewalttätige Herrschaft zu errichten. Als sie gingen, hinterließen sie ihre schauerlichen Herrschaftsstrukturen – und wunderten sich, als ihre afrikanischen Nachfolger diese übernahmen und zu ihrem persönlichen Vorteil nutzten. Doch inzwischen setzt sich in vielen afrikanischen Staaten die Auffassung durch, dass es so nicht weitergehen kann, und dass der Kontinent nichts nötiger hat als eine lebhafte Zivilgesellschaft und standfeste Institutionen, die den Machtmissbrauch der Herrschenden begrenzen. Wenn sich dieser Trend durchsetzt, wird Afrika gerettet; es rettet sich selbst.

Wenn ich in der Gemüseschlange stehe, überkommt mich beim Zuhören oft das Gefühl, dass die um 1900 in die Geisteswelt des Westens programmierten Vorurtiele immer noch Bestand haben. Da ist der Afrikaner an sich natürlich faul – oder ein edler Wilder. Der Westen bringt das Heil und Dortige sind zu afrikanisch, um sich selber zu organisieren. Wie kommt es, dass da Wandlung – von der Vorverurteilung weg – so schwer und fast garnicht einsetzt? Was sind wir für Menschen, dass wir nicht lernen? Gibt es auch Vorurteile in afrikanischen Gemüseschlangen, bezogen auf Mitteleuropa?

Wo kaufen Sie denn ihr Gemüse? Im Ernst: Vorurteile haben eine lange Halbwertszeit. Sie leben vom Unwissen. Wer zum Beispiel behauptet, dass Afrikaner faul seien, sollte mal einen Tag in einem afrikanischen Dorf verbringen. Da wird geschuftet, wie in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr. Ja, auch viele Afrikaner haben Vorurteile gegenüber Europäern: Sie halten sie für besserwisserisch, arrogant und selbstsüchtig.

Sie stellen ja im Seitenblick Ihr Buch vor. Wie denn? Wasser und Lesepult?

Wasser – hoffentlich. Lesepult? Ich sitze lieber. Und wahrscheinlich bringe ich auch ein paar Bilder mit. Vor allem aber freue ich mich auf die Fragen der Gäste, die sind das Wichtigste.

Danke für die Antworten.

Ich habe zu danken, und bis zum 30. August.

Buchhandlung Seitenblick im Netz:

www.seitenblick-leipzig.de

Johannes Dieterich im Netz:

www.johannesdieterich.com

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