Laudatio. Ausstellung Jeannette Pietrowski-Siefke.
Damit wir nicht vergessen …
Paul Cézanne, der unvergessene, französische Maler, dessen Schaffen zum Beispiel „Das Haus des Erhängten“ oder „Drei Schädel auf einem Teppich“ entstammen, sagte einst: „Man muss sich beeilen, wenn man etwas sehen will, alles verschwindet …“.
Und so wie alles, was entsteht, auch Wert ist, dass es zugrunde geht, ist die kurze Zeit, die der Mensch als Einzelindividuum auf diesem Planeten weilt, ein Staubkorn nur.
Wir jedoch, die wir noch fühlen können, versuchen Sandburgen zu bauen vor der großen Flut, wir unsichtbaren Riesen.
Die Künstlerin, deren Werk wir heute hier im Café Wagner feiern möchten, wollte nicht verglühen.
Die Welt um sie herum in wahnsinnige Raserei verfallen, die Menschen, die sie traf unaufhaltsam und gefangen in den Gefängnissen des kulturellen Wachstums. Flirrend nur, vergänglich.
Da versuchte JPS – Jeannette Pietrowski-Siefke – kleine Kiesel in die Autobahnen der Unvernunft zu rollen, um aufzuhalten, was irrsinnig geworden ist.
Da waren kleine Schnipsel Literatur, geboren aus einer tief in ihr verwurzelten Romantik, Lyrikperlen, hingeworfen und überrollt, platzgewalzt von den Vielen, die da laut ihre Haltung in die Leben der Anderen hineinschreien.
Und da waren ihre Bilder, mit denen sie kommunizierte; Bilder, die Momente aufhalten wollten.
Pop-Art. Der Versuch, mit populären Mitteln und populären Signalen und Codes sichtbar zu sein.
Wilhelm Busch wird folgende Aussage zugeordnet: „Wer sehen will, darf nicht mitspielen.“ – und mitgespielt im großen Kunstzirkus der Stadt hat JPS wahrlich nicht.
Hier wo an akademischen Anstalten marktgerechtes Malen gelehrt wird, hier in Leipzig, wo die Leipziger Schule, anfangs gut gedacht, zu einem Argument des Stadtmarketings mutierte, sich vergaß und dadurch krepierte, malte Jeannette in großen Flächen, dem Roy Lichtenstein ähnlich, in klaren, starken Farben.
Und gab auch zu, an wem sie sich orientierte: Patrick Nagel zum Beispiel, dem sie eine Hommage widmete, diese hier mit sexuell interpretierbarem Inhalt und doch sauber wie ein Kleenex-Tuch oder den Sin City Inhalten von Frank Miller, hier in der Ausstellung vertreten durch das Bild, auf dem der Mensch in einem schwarzweißgrellen Käfig mit Konsumisten-Strichcode in die Tiefe rast, beengt wie in den Cube-Filmen, gefangen von Mächten, die handeln weil sie handeln können, weil niemand sie aufhält in ihrer destruktiven Weltsicht.
Da muss man natürlich Jeannette auch als lebendige, kleine Frau sehen, wenn sie die göttlich-verwegene und ganz bestimmt auch aus der normalen Begriffswelt der Jakobiner der vermeintlichen Vernunft fallende Nina Hagen portratiert. Eine Schwester im Geiste, eine Botschafterin der Menschlichkeit – und dann dieses Augenrollen, die einzige Art mit dem Wahnsinn umzugehen – sich aus den Grenzen heraus zu stellen – und zu tanzen.
JPS war Bohemian in ihrer wundervoll vollgepackten Heimstatt am Nikischplatz. Hier baute schon 1899/1900 der Leiziger Kunstverein sein Künstlerhaus, welches beim Luftangriff auf Leipzig, am 04. Dezember 1943, zerbomt wurde. Direkt am Rand, rechts neben der Lücke, die dieser Ort hinterließ, lebte sie Jahre und Kunst. Im Dachgeschoss, unter den Himmeln, die nie enden. Oder erst, wenn alles zu Ende ist.
Das allzu Weibliche war ebenso ihr Metier, die Burlesqueköniginnen und die Beine der Marlene, die Liebe in den abgedunkelten Räumen der bürgerlichen, nach der Wende frisch angetünchten Gebäude, nur eben mit der Selbstliebe gab es da Probleme. Der Highway to Hell, so ihn die australischen Bluesrecken von AC/DC um Angus Young besingen, stand nicht nur in den letzten Jahren ihres Lebens als übergroße Landkarte vor ihrem Herzen, der Highway to Hell ist in uns allen.
Doch, glaubt mir, liebe Anwesende, dieser überbreite Pfad ist nicht der einzige Weg.
Einige wenige Menschen halten an an den Raststätten des Lebens, schauen sich um und nehmen vielleicht eine andere Ausfahrt, eine wackelige Piste über Land, heraus aus der Stadt, dem enggewordenen Moloch, den Ungeheuer. Weil wir in unserem Inneren erkennen, dass die Stadt uns immer mehr unserer Menschlichkeit raubt, um diese zu verrubeln, zu Geld zu machen und auf den Opfertischen der Kunstfeindlichkeit, der aggressiven Ausgrenzung und Erniedrigung des jeweils Anderen zu opfern.
JPS hat aufgehört zu malen, hier im Café Wagner, dem Ort, an dem sie in ihren letzten Jahren, in denen sie noch ihre Wohnung verlassen konnte, am allerliebsten war, klingt ihre Malerei nach.
Die Vibrationen eines Leben füllen Herzen und fügen sich ein ins große Ganze. Das Universum vergisst nichts.
Trinken wir gemeinsam auf diese kleine, uns allen verloren gegangene Frau. Vergessen wir nicht, wer sie war. Damit auch uns, in ganz bewusster Selbstliebe, niemand vergisst.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit
Volly Tanner, Laudatio, gehalten am Freitag, den 14.08.2020 im Café Wagner zu Leipzig
Die Bilder sind zu sehen im Café Wagner zu Leipzig, Richard Wagner Platz1 in Leipzig
Die Homepage von Jeannette Pietrowski-Siefke: