Manchmal will der Tanner schier verzweifeln. Da ist soviel Leid in der Welt und direkt dort, wo er lebt, da ist Unvernunft und ekelerregende Inhumanität. Dann trifft er Menschen, die ihm sagen: Tanner – die sozialen Bewegungen werden stärker! Und da Sonja Golinski nicht nur daran glaubt, sondern eben auch täglich daran mittut, war es klar, dass Tanner da nachhaken musste. Auch im Sinne seiner psychologischen Gesundheit. Sammelt Herzmenschen!
Guten Tag, Sonja. Du organisierst hier am Lindenauer Markt das INZ. Was machst Du denn da ganz konkret – und für wen macht Ihr das?
Hallo. Ich leite das Nachbarschaftszentrum, d.h. ganz konkret: ich mache als Leitung den öden Orgakram, Öffentlichkeitsarbeit, Abrechnungen, Anträge und Dienstpläne.
Wir sind ein Team von vier Menschen, zwei fest Angestellte mit mir und dazu zwei Bundesfreiwillige und dazu ehrenamtliche HelferInnen je nach Anlass.
Ganz konkret … geht nicht. Das Konzept ist eben nicht, Konkretes vorzugeben, sondern einen Raum zu bieten, in dem sich Leute ausprobieren können. Das Konkrete entsteht also mit den Menschen, die kommen und ihren unterschiedlichen Interessen – vom Häkeln und Spinnen am Spinnrad über Singen bis zur Selbsthilfegruppe. Theatergruppen, die wir kennen gelernt haben und arabische Musiker, die ihre Musik präsentieren wollten, MalerInnen, die Platz für ihre erste Ausstellungen suchen. Unser Programm ist unterschiedlich und breit gefächert. Politgruppen wären auch möglich, obwohl ich da weltanschaulich noch mal Grenzen definieren müsste. Ein konkretes Bespiel ist unser arabischer Kochabend – aber auch da… wie es konkret wird und welche Themen auf den Tisch kommen, bestimmen die Leute, die sich an dem entsprechenden Abend zusammen finden.
Und für wen? Auch das kann ich dir nicht ganz konkret beantworteten. Meine Idee ist, weg zu kommen von den klassischen Zielgruppenorientierungen … Jugendliche, Kinder, Eltern, Senioren, Geflüchtete, Menschen mit Behinderung usw. – hin zu einer Gruppe von Menschen, die sich wegen eines gemeinsamen Interesses zusammen finden. Von daher kann ich dir nur antworten : Für Alle.
Ihr arbeitet mit Menschen mit Behinderung. Nun durfte ich bei Euch auch schon eine Lesung in „Leichter Sprache“ abhalten, was sehr unterhaltsam war – auch für mich. Funktioniert die Inklusion?
Oh oh … schwere Frage. An was würde sich ein „funktionieren“ denn fest machen? Es ist ein langer Prozess und wir stehen am Anfang. Das Ziel des Nachbarschaftszentrums ist es, dass es selbstverständlich wird, dass Menschen mit Behinderung dabei sind und dass Unterschiede nicht mehr so eine große Rolle spielen. Das gemeinsame Interesse bei dieser Lesung war die Literatur – und die „Leichte Sprache“ eine Brücke, um das Buch für alle verständlich zu machen. Wenn es inklusiv werden soll, wäre z.B. auch noch ein Gebärdendolmetscher dabei gewesen oder wir hätten eine Hörschleife da haben müssen, damit Menschen mit Hörgerät es leichter haben, das Buch hätte in Braille-Schrift ausgelegen usw. usw. Es geht also Schritt für Schritt darum, Barrieren abzubauen – erst mal in den Köpfen und dann an den Türen und Treppen.
Vor Kurzem beim Schnattern sagtest Du: Die sozialen Bewegungen werden stärker! Woran machst du das fest?
Hihi. Du hast mich in einem Moment erwischt, in dem ich noch völlig beseelt war von der „Bärensuppen“-Veranstaltung rund um das Thema „geldlose Gesellschaft“ und einen Eindruck bekommen habe, dass es im ganzen Land Leute gibt, die mit unterschiedlichen Ansätzen und Methoden daran arbeiten, dass unsere Welt gerechter wird.
Jetzt bin ich wieder runter von der Wolke 7 und nüchtern betrachtet, sehe ich natürlich die Erfolge der AfD, die Auswirkungen der Globalisierung, die soziale Ungerechtigkeit, den Umgang mit Geflüchteten und die unglaublichen Massen von Menschen, die stur im Hamsterrad feststecken. Andererseits treffe ich täglich Menschen, die sich um andere bemühen, offen sind und sich Veränderung wünschen. Es ist wahrscheinlich so ein persönliches Ding, positiv zu gucken, um nicht völlig depressiv zu werden und die Motivation zu verlieren.
Wie kommen wir aber an die völlig Abgehangenen, die wütenden Alks und hysterischen Chrystal-Kids ran? So viel Aggression da draußen!
Was heißt denn für dich rankommen? Ich habe Tage, da gucke ich hin und gucke positiv und bekomme ein Lächeln zurück. Und dann wieder Tage, wo ich einen Bogen um die Leute mache, weil ich nicht weiß, wie ich reagieren soll, oder auch, weil sie mir Angst machen. Klar würde ich nicht mitten in dem Alk-Mob am späten Nachmittag ein Gespräch über das Positive in der Welt anfangen. Aber wenn ich einzeln mit jemandem spreche, mache ich meistens super Erfahrungen, höre interessante Lebensgeschichten und bin überrascht, wie viel passiert. Ich bin keine Sozialarbeiterin – ich muss nicht helfen. Jeder hat seine Strategie, mit der Welt umzugehen. Ich versuche zu akzeptieren und im besten Fall zu verstehen. Ich finde, die eigene Haltung macht etwas aus. Für mich sind sie nicht „draußen“, sondern sie gehören einfach auch dazu.
Wie können Menschen mit Euch in Kontakt treten? Geht Ihr auch raus in die Welt?
Im Rahmen unserer Möglichkeiten gehen wir auch raus … zumindest in die Nachbarschaft…grins. Wir machen die klassischen Infostände bei Veranstaltungen und beteiligen uns in verschiedenen Netzwerken. Aber in erster Linie ist es wohl so, dass man zu uns in die Odermann-Passage kommen muss.
Du selber bist auch im Yoga aktiv. Was machst Du denn da konkret?
Ich bin selber Yoga Lehrerin, dh. ich gebe Kurse (übrigens auch einen Kurs „Yoga für RollstuhfahrerInnen“). Und zum anderen bin ich im Leipziger Yoganetzwerk e.V. aktiv. Wir sind ein Zusammenschluss von Lehrern und Lehrerinnen der unterschiedlichsten Stile. Es gibt ja die unterschiedlichsten Schulen und Stile im Yoga und normalerweise bleibt jede Gruppe unter sich. Das Netzwerk möchte das aufbrechen und steht für die gemeinsame Liebe zum Yoga.
Das Nachbarschaftszentrum im Netz:
http://www.mobiler-behindertendienst.de/das-angebot/nachbarschafts-zentrum.html
& bei Facebook:
https://www.facebook.com/InklusivesNachbarschaftszentrum/
Das YOGANETZWERK im Netz: