erschien in Print in der 3VIERTEL:
Ein Interview mit Ann-Helena Schlüter.
VON RAY VOLTEZ
Der Leipziger Westen hat kulturell einen guten Ruf. Das wissen wir. Viel von dem Ruf ist den Experimenten zu verdanken, die hier gewagt wurden und werden. Denn einfach nur schon oft Gelungenes nachzumachen macht eben keinen spannenden Kiez.
Das HelHEIM – schlichtweg „Die Adresse für Metal und Artverwandtes“ hat sich schon so manches mal aufs Glatteis gewagt, hat mit Tanners Terrasse nicht nur im Literarischen gefischt, sondern auch Udo Lindenbergs Öffentlichkeitszauberer Arno Köster, den Funkymän Dirk Zöllner oder zuletzt Rockhaus-Legende Mike Kilian nach Plagwitz geholt. Sogar Nick Oliveri, Gründungsmitglied der Queens Of Stone Age und von Kyuss labte sich im Heim.
Nun wird der – gar nicht so weit gespannte – Faden zwischen Metal und Klassik gewoben. Ann-Helena Schlüter, preiseüberschüttete Pianistin, Dichterin und Sängerin mit schwedisch-deutschen Wurzeln kommt, um Heimeligkeit ins Heim zu bringen und hilft Volly Tanner auf seiner Terrasse beim Friedenspenden. Und Geschenkeschenken. Und Hoffnungsenden.
Ray Voltez traf die faszinierende Blondine, die derzeit in Leipzig über Bach promoviert, zum Gespräch für die 3VIERTEL:
3VIERTEL: Guten Tag Ann-Helena. Es ist mir eine Freude. Im Dezember, genauer am Sonntag, den 15.12.2013 wirst Du ein Konzert im HelHEIM im Leipziger Westen geben. Dazu liest Du auch aus Deinem literarischen Erstling „Flügelworte“. Nun bist Du ja eine der anerkanntesten Klassik-Diven unseres Landes. Wie verschlägt es Dich denn in eine Metalkneipe?
Ann-Helena Schlüter: Durch die Literatur. Volly Tanner ist durch meinen Lyrik „Flügelworte“ auf mich aufmerksam geworden. Ich wohne in Würzburg und promoviere in Leipzig, bin aber noch neu in Leipzig, und er hat mich eingeladen, dort zu lesen.
3VIERTEL: Dein Lebensmittelpunkt ist ja irgendwo zwischen Schweden und Würzburg. Trotzdem sehen Kulturfreunde Dich derzeit öfter in unserer schönen Stadt. Was ist für Dich diese Stadt? Bach? Bartholdy? De Brinsen?
Ann-Helena Schlüter: Für mich ist die Musik von Bach, Chopin, Brahms und Beethoven wie normale Speise. Es ist für mich nicht klassische Musik in der Art, wie es für andere Menschen vielleicht klingt, sondern Beruf, Alltag, Freund – manchmal Genuss, manchmal Stress, oft Disziplin und Arbeit, oft Trost und Sicherheit. Wenn ich zurückdenke, welche Dinge mich zuverlässig und treu begleitet haben, dann gehört Musik, und auch gerade die „klassische Musik“ dazu. Popsongs kommen und vergehen. Bands mag man eine Zeitlang hören, dann hört es auf. Man ändert sich, wird reifer, entwickelt sich, und selbst die tollste Band kann man nicht ununterbrochen lieben – bei Bach ist das anders. Mit ihm wächst man, wächst man vorwärts sozusagen. Es gibt immer Neues zu entdecken, es ist kein „Fansein“, sondern wie ein Berg, den man ersteigt – wenn man interessiert ist an Geschichte, Entwicklung, Kunst, Musik – dann ist Musik wie Bach, Schubert, Mahler, Bruckner eine zeitlose Wohltat und Herausforderung.
Diese Musik trägt. Sie ist nicht abhängig von den Wirren der Zeit. Eine Fuge Bachs ist beruhigend im Sog der Veränderungen. Viele Menschen kommen erst ab Vierzig in den Geschmack von den großen Komponisten, ich habe sie schon mit fünf Jahren geliebt. Je früher, desto besser, denke ich.
Das Hören von Bach ist gesund für die Seele, daher sollten schon Babys und kleine Kinder damit aufwachsen.
Wenn es mir zuviel wird mit Bach, dann höre ich gern auch mal Queen und elektronische Musik oder gehe tanzen oder habe Stille um mich … oder komponiere selbst.
3VIERTEL: Dein Auftritt gehört natürlich auch in die Weihnachtsvorbereitung. Volly Tanner öffnet dafür sogar seine Tanners Terrasse und machts EXTRA an einem Sonntag. Wie hast Du den Terrassenzampano eigentlich kennen gelernt?
Ann-Helena Schlüter: Durch facebook.
Ich habe schon viele interessante Menschen durch facebook kennengelernt und bin dankbar dafür.
Ich freue mich sehr, in der Weihnachtszeit im Helheim zu lesen und zu spielen.
3VIERTEL: Deine ganze Familie macht ja in Musik. Segen oder Fluch?
Ann-Helena Schlüter: Beides. Ich freue mich, dass ich eine außergewöhnliche Ausbildung bekomme habe, die mein Innenleben reich gemacht hat, ohne die ich nicht da wäre, wo ich bin.
Auf der anderen Seite hat eine solche Ausbildung auch einen hohen Preis und nun viel Verantwortung. Es gab genügend Momente, in denen ich mir gewünscht habe, in einer Familie ohne Musik mit hohen Erwartungen aufzuwachsen. In Sachen Kunst darf man auch nicht übertreiben. Ich glaube sogar, dass Kunst und Wettbewerb nur bis zu einer gewissen Grenze Hand in Hand gehen können, dass sich Kunst aber von Wettbewerbsdruck letztendlich lösen, seinen Drive für Exzellenz woanders her beziehen muss.
3VIERTEL: Du bespieltest schon Tschechien, Schweden, Australien, Tasmanien, London, Deutschland, Nepal, Österreich, Schweiz, Moskau, Russland, Belgien und die Philippinen. Uff! Wie reist Du denn überhaupt? So dauernd. Und vorallem allein. Das stelle ich mir auch manchmal sehr öde vor.
Ann-Helena Schlüter: Ich reise mit ICE, Auto und Flugzeug, je nachdem.
Mein kleiner Beetle namens Drop (Wassertropfen, er ist metallic blue) hat mich happy durch die Lande geführt.
Fliegen, vor allem die ganz langen Strecken, 30 Stunden, kann schon öde sein. Doch man wird am Ende belohnt. Ich erinnere mich an meine ersten Schritte auf tasmanischem Boden. Die Luft! Am anderen Ende der Welt zu sein. Mein erstes Konzert dort. So schön.
Das regelmäßige Pendeln zwischen Leipzig und Würzburg mit ICE ist durchaus manchmal langweilig, ich schlafe oder lese.
Aber dann, wenn ich vor Ort bin, genieße ich das Land, die Stadt, die neuen Leute, die Geschichte des Landes, die Konzerte. Ich bin dankbar, so viel von der Welt sehen zu können durch meine Musik – ich würde ohne die Musik vielleicht nicht auf die Idee kommen, so viel zu reisen, da es anstrengend ist, so viel sehen zu wollen.
3VIERTEL: Zum Abschluss kannst Du hier noch ein paar weise Sätze hinterlassen. So kurz vorm Fest der Feste – was möchtest Du in die Herzen der Menschen pflanzen?
Ann-Helena Schlüter: Das ist schön.
Lasst euch berühren von dem größten Künstler, von dem alle Kunst kommt. Denn der ist nicht auf Leistungsdruck aus – seine Kunst kommt direkt aus seinem Charakter, und der fällt mit seinem ganzen Wesen eins zu eins überein.
3VIERTEL: Danke fürs Gespräch. Wir sehen uns im Heim.
Tanners Terrasse Extra zur Beschenkung: mit Ann-Helena Schlüter; Sonntag, 15.12.2013; 18:00 Uhr; 03.00 Euro Eintritt