Tanner trifft zu: Das letzte Wort … … Sophie Sumburane (lange Version)

erschien schon im FRIZZ Leipzig (gekürzt!)

 

Das letzte Wort in diesem Monat hat die Krimiautorin Sophie Sumburane, die in den letzten Jahren zusammen mit Mann und Kind in Leipzig lebte. Just in diesem Monat zieht sie nun weg nach Potsdam, um sich neu zu orientieren. In Leipzig hinterlässt sie Freunde und Kollegen, denen sie viel wert ist. Deshalb – sozusagen zum Abschied – darf sie hier noch einmal richtig vom Leder ziehen.

Frau Sumburane, vollenden Sie bitte diesen Satz: An Leipzig hat mich in letzter Zeit besonders aufgeregt, dass…

… die Menschen aneinander vorbei leben, Grinsemasken aufsetzen, um zu Hause hinter verschlossenen Türen zu weinen. Schwäche zeigen ist verpönt, alles strebt voran, immer schneller und schneller, vorbei an denen, die nicht Schritt halten können, drüber weg über die, die nicht Schritt halten wollen. Und das alles gehüllt in die neueste Designerklamotte, geschmückt mit teurer Technik, die uns das Verblenden vereinfacht, die Schnelligkeit fördert und uns zum gläsernen Menschen macht, der sich doch nicht hinter seine, mit dicken Shopping-Steinen aufgebaute Konsummauer, gucken lässt. Ist ja auch schön da, hinter den Hipster-Klamotten. Niemand sieht die Angst, nur das von Papi bezahlte Outfit. Die Brühl-Hölle machts möglich, für alle, die nicht vorher schon in die 643756230 H&M-Filialen gefunden haben. Warum müssen immer mehr Buchhändler mit Herzblut hippe Kaffee-Gebräue verkaufen, um ihren Kunden ein Buch unterschieben zu können, während alles nach neuer Technik, Klamotten, Schmuck, Schminke, Deko, Kerzchen, Besteck mit Ornamenten, dem neuesten Sinnlosscheiß für die Pimp-Karrosse, den wie alle anderen stinkenden neuen Duft von Promi xyz und Club Mate hechtet? Warum überlebt eine Buchhandlung, indem sie Bücher verkauft, die niemals hätten gedruckt werden dürfen, während Bücher, die aufwühlen, anklagen, aufdecken, literarisch wertvoll sind, in den hinteren Ecken verstauben? Warum denkt der Mensch so ungern?

Woher soll sie kommen, die Motivation den Schritt in die schriftstellerische Selbstständigkeit zu wagen, bei völliger Abwesenheit von Wertschätzung der eigenen Arbeit, wenn sich junge Talente beim Lesebühnen und Slam-Hobbing selbst verbrennen, weil niemand sie fördert? Die Gäste trachten nach Neuem, zwei Mal den gleichen Text vortragen? Niemals! Und lustig soll es sein, bitte, nicht zu ehrlich, Ehrlichkeit ist gefährlich, das könnte Augen öffnen, wer will denn das? Lachen wollen wir. Abschalten, runterkommen, kurz mal aussteigen, aus der Geschwindigkeit des Seins, aber nicht vergessen, nebenbei zu schauen, was es neues bei Facebook gibt. Schließlich kann man gleich ein Foto posten, von der blonden Autorin, die ein so schönes Dekolleté hat, das soll die Welt ruhig sehen. Hinter vorgehaltener Hand macht sich das neu-leipziger Bildungsstudentenbürgertum lustig über sie, schreiben kann die eh nicht, nur gut aussehen. Für sie gestimmt hat man trotzdem. Den Text von dem Mann da hat man ja sowieso nicht verstanden. Und hast du die andere Frau gesehen, die, ohne Ausschnitt? Tut auf klug, denkt, sie müsse den Mund aufreißen, und Zustände in Leipzig anprangern, sich gegen Konsumgestrebe auflehnen, die ist doch nur neidisch!

Ich wundere mich über Studenten, die mit MacBooks in der Uni-Bibliothek sitzen, Fotos von den neuesten Weltumrundungen posten, um zu Hause ihren Frust über die innere Leere in Wodka Energy zu ersäufen. Oder in irgendeinem anderen hippen Alkopop. Über andere lästern, andere klein machen, ja, so kann man sich groß fühlen, wenn man sonst nichts hat. Nur hält das nicht lange. Das Lästern ertragen, Abwertungen entkräften, Geningel an den eigenen Texten durch selbstbewusstes Stehen hinter der eigenen Arbeit ersticken. Schwäche zeigen. Nein sagen. Sich nicht gezwungen fühlen 300 Euro für die neue Brille auszugeben, weil alle anderen auch diese Nerd-Brille, und die eben gerade Trend, bis zum nächsten Sturm, ich will dazugehören.

Das ist hart, das tut weh, aber das ist es, was groß macht.

Sophie Sumburane - ein Abschied in Worten. Ein Anfang in Familie.

Sophie Sumburane – ein Abschied in Worten. Ein Anfang in Familie.

Was muss sich ändern?

Vieles. Wie in vielen anderen Städten auch. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen wenigstens darüber nachdenken, ob ihr Kind wirklich die neue X-Box zum Geburtstag bekommen muss, oder ob man das Geld nicht lieber aktiven Menschen spendet. Was auch immer man unterstützenswert findet, Kinderhilfe im In- oder Ausland, Kunstprojekte, Sportvereine, Tierschutz, Brot für die Welt, Peace für die Welt, oder einfach, dass der Kindergarten nebenan eine neue Schaukel bekommen kann. Ich wünsche mir mehr Achtsamkeit in den Köpfen der Menschen für die Bedürfnisse der anderen. Das öffnet das Tor zur Achtsamkeit gegenüber sich selbst.

Wie würden Sie Leipzig beschreiben, für den, der die Stadt nicht kennt?

Goethes Klein-Paris ist auf einem konsumierenden Weg, um in die Fußstapfen der Mode-Städte zu treten. Fraglich ist, ob das erstrebenswert ist. Leipzig hat wundervolle, inspirierende Ecken, tolle, kreative Menschen, aber leider auch Ecken, die vom Gros der Vorwärtsstrebenden gern übergangen werden, wenn nicht sogar negiert werden. Wie sonst kann es passieren, dass in einem Asylanten-Heim jeden Morgen die Polizei vor den Toren steht um Papiere zu kontrollieren, (das Schlimmste, was passieren kann, scheint zu sein, dass ein Mensch nach monatelanger Flucht aus seinem von Bürgerkrieg zerstörten Heimatland all zu lange in Sicherheit lebt, sei diese Sicherheit noch so würdelos) und gleichzeitig liegt hinter den Mauern mehrere Wochen ein Toter? Weggucken, dass kann der Mensch.

Welcher Ort ist Ihnen der liebste in der Stadt?

Die Parks, das Wasser, die Albertina-Bibliothek.

Wenn Sie in die Zukunft schauen, welche Pläne und Visionen haben Sie?

Ich möchte schreiben. Nicht unterhalten, sondern verbal ins Gesicht schlagen. Im Moment lerne ich noch, die Kritik auszuhalten, mich als vorlaute, überhebliche Möchtegernautorin beschimpfen zu lassen und die Unterstellungen des Neids zu überlächeln. Junge, einigermaßen gutaussehende Frauen haben ein Glaubwürdigkeitsproblem, vor allem gegenüber Männern. Aber das legt sich, schließlich werde auch ich älter.

Worauf freuen Sie sich in der nächsten Zeit besonders?

Auf Reisen zurück nach Leipzig. Die Menschen wieder zu sehen, die mir beigebracht haben, was es wert ist zu kämpfen. Aber auch auf meinen Umzug nach Potsdam, auf Tage am Wasser in meiner alten Heimat, die ich mit Schreiben verbringen kann. Auf die Dinge, die ich vielleicht nicht verändern, aber immerhin als in meinen Augen „falsch“ markieren kann. Vielleicht denkt ja doch mal einer drüber nach. Ich freue mich auf innere Freiheit.

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