Den heute hier zur Ausstellung kommenden Bildern möchte ich ein paar Worte voranstellen, die nicht nur die meinen sind.
Der Philosoph Maurice Merlau-Ponty kam in seinem Hauptwerk „Phänomenologie der Wahrnehmung“ 1945 zur Erkenntnis – schließlich war er ja auch Erkenntnistheoretiker – „Um die Welt zu erfassen, müssen wir mit gewohnten Wahrnehmungsweisen brechen.“
Diesen bedenkenswerten gedanklichen Klotz zu verdauen, ihn eben zu bedenken und dann vielleicht sogar zu verstehen braucht Zeit, deshalb sollten sie nicht sofort abschalten, nur weil ich hier einen Wissenschaftler aus der Tasche zog, um einen Anfang, eine Einleitung, zur Vernissage zu finden. Nein, ich glaube, dass genau dieser Satz sehr viel mit Tobias Klingners „Großstadtidyllen“ zu tun hat.
Schließlich – aber glücklicherweise nicht endlich – verbindet das Kulturinteressiertenherz mit dem Blick in Kleingärten viel zu oft ein herabwürdigendes Lächeln. Da funktioniert die Programmierung bestens: Kleingarten, Gartenzwerg, Vorschriften über Ruhezeiten und prozentuale Verpflichtungen zum Thema Anbau von Nutzhölzern und Wiesenflächen. Das gerade diese Vorschriften – in ihrer Eigenartigkeit – das Zusammenleben auf engsten Raum, das gesellschaftliche Miteinander erst ermöglichen verliert der Kulturprogressive dabei völlig aus den Augen. Deshalb, um es mit Merlau-Ponty zu sagen: Einfach mal die Wahrnehmungsweise ändern.
Schauen wir uns doch einfach mal „Das Positive“; „Das Schöne“; „Das Nachhaltige“ und „Das faszinierend Kreative“ in Kleingärten an. Wo die Hipsterpresse über Urban Gardening schwadroniert buddelt doch der gewiefte Kleingärtner schon seit Jahrzehnten auf seiner Parzelle. Wo „Wohnen&Kaufen“Hochglanzmagazine den Finnlandstil neu entdecken und in fotoshopbereinigten Bilderwänden in die Hirne des Konsumisten predigen, hat der Kleingärtner schön längst den Pinsel geschwungen und dabei nicht einmal den darüber berichten wollenden Journalisten informiert. Und auch die Vögelchen zwitschern völlig losgelöst und ohne vorheriges Plenum vor sich hin.Diskutieren kann man auch über den Gartenzaun hinweg, dafür muss man nicht mal einen Raum anmieten und Mikrophone kaufen, das geht ganz flugs mit einem Bier in der Hand im Sonnenschein.
Schön. Nicht wahr?
Aus Erfahrung kann ich da sagen, dass es hin und wieder nicht ganz so schön ist, aber das soll heute nicht Thema sein – und was meine Nachbarin in der Kleingartensparte, die mit der Fußhupe, die dauernd bellt und ihren Dreck über unseren Zaun wirft für einen Schatten hat – naja, das wollen Sie ja eigentlich auch nicht wissen. Oder doch?
Zurück zum Glück. Und zu den Bildern, die hier an den Wänden hängen. Helle Bilder, bunte Bilder. Warme Bilder, die vom Werden und Blühen erzählen, die dem Ruf des Leipziger Westens „Ah, da gibt’s doch nur Bordelle und Industriebrachen, Tagediebe und Schnapsbrüder, Hundekacka und Indiepop.“ wundervolle andere und ungewohnte Sichtweisen und Sichtschneisen entgegenhalten. Hier leben ist eben wahrhaft mehr als nur herum maulen, hier leben ist „Idylle im Krieg“ – ein wunderbares Lied von Dirk Zöllner und Liebe und Licht und Nahrung für den Geist und Verstand.
Das wir diese lichten Fotografien – und auch die Bilder, die unser Wissen bereichern zu Thema Grauwacke zum Beispiel – heute hier sehen dürfen, ist nicht nur mir gedankt, der ich hier den Laden manage, sondern neben Tobias Klingner zuvorderst Frau Annelis Tienelt, die sich den Fotografen schnappte in so vielen Morgenstunden, wenn er, als Künstler ist das Gewohnheit und aufgrund seines Arbeitens im deutschen Süden auch Bedürfnis – eigentlich noch gar nicht so richtig auf dem Damm stand – und ihn durch die Anlagen zerrte, um ihm die Augen zu öffnen.
Und dann, wenn die Augen offen waren, hob er sein Equipment in die Höhe und schoss um sich wie sonst keiner. Und traf mitten ins Farbige.
Ich wünsche Ihnen, liebe Vernissagenbesucher, genau den Genuss beim Anschauen und Wirkenlassen, den wir hatten beim Aufhängen und Heraussuchen der Ausstellung. Lassen Sie sich Zeit und freuen Sie sich über die Kleinigkeiten, die das Leben doch so lebens- und liebenswert machen und streiten Sie etwas weniger – und wenn, dann nur für etwas, was wirklich wichtig ist. Dieses Gefühl des gesellschaftlichen Miteinanders und der Verantwortung füreinander. Wie zwischen Kleingärtnern, die wachsen lassen wollen, wie zwischen Menschen, die ihre Hände noch in Erde graben können.
Und den Geruch von feuchtem Humus noch kennen und wissen, wie man einen Spaten benutzt.
Doch jetzt will ich enden. War ja nun auch schon ein langer Ritt bis hier her. Da hätte ich in meinem Garten ja schon meine Hütte anmalen können und so manche Wurst auf den Grill werfen können zwischenmang. Applaudieren Sie mir, machen Sie dies kräftig. Frau Tienelt und Herr Klingner schließen wir in dieses Donnern einfach mit ein.
Dankeschön!